der nachfolgende Artikel mit dem Titel "Wenn die Frau plötzlich geht" ist der Tagespresse vom 13. April 2014** entnommen.
Er ist eher länger, dafür umso intensiver und werthaltiger.
Nehme Dir 9-11 Minuten und "verdaue" diese wundervollen Erkenntnisse über Leben, Ehe und Beziehung.
Ermutigende Grüße in die frische Woche schicken
Rainer & Kerstin.
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Dear all,
the following article is out of a German newspaper published on 13 April 2014.**
Unfortunately, it has only been written in German language and is far too long to translate it into English language.
Bottom line is, how a typical history of a married couple might look like who - out of a sudden - asks for divorce after being married for decades of years.
It clearly shows how important it is to raise the question a long time before marriage WHY to get married and which the common mission is supposed to be.
For any further questions on this, don't hesitate to contact us.
Rainer & Kerstin.
** Ausgabe von "Die Welt am Sonntag", 13. April 2014:
http://hd.welt.de/wams-hd/wams-hd_ausallerwelt/article126880056/Wenn-die-Frau-ploetzlich-geht.html
Jahrelang waren sie zusammen – dann ist Schluss. Männer sind oft völlig überrascht vom Ende. Doch es gibt Warnsignale.
Die Stille kommt ihr immer noch seltsam vor, manchmal.
Die Stille, die sich in ihrer hellen Wohnung im Hinterhaus eines Münchner Altbaus ausbreitet, als wäre sie ein Stück von ihr. Von dieser zarten Frau, die es sich hier schön gemacht hat. Schnörkellos, reduziert, stilvoll. Ein Kunstdruck mit einer abstrakten Farbkomposition von Mark Rothko hängt über dem hellen Sofa an der weißen Wand. Gegenüber ein Regal mit ihren wichtigsten Büchern. Nichts ist überladen. Alles scheint zu sagen: nur nicht zu viel. Die Stille, in die an diesem Frühlingsmorgen vom Zwitschern der Spatzen in dem Ahorn vor ihrem Fenster unterbrochen wird, tut ihr gut. Aber sie erinnert Eva* auch immer wieder daran, dass sie alleine lebt. Seit sieben Jahren. Sie ist jetzt 70.
40 Jahre war sie verheiratet, Ehefrau. Dann hat sich Eva von ihrem Mann Friedrich* vor dem Richter getrennt. Die Scheidung hatte sie eingereicht. Und so wie sie machen es immer mehr Frauen: Sie wagen, nach Jahrzehnten noch mal ganz neu anzufangen. Die Zahl der Scheidungen nach 26 Ehejahren und mehr steigt rasant: Während es 1992 12.000 scheidungswillige Paare gab, die schon mindestens ein Jahr lang die Silberhochzeit hinter sich hatten, waren es 2012 schon 24.600. Die Zahl hat sich in den vergangenen 20 Jahren also mehr als verdoppelt. Aktuell machen die Scheidungen nach mindestens 26 Ehejahren schon 13,8 % aus.
Abstrakte Zahlen, die konkreter werden, wenn uns Nachrichten wie die über das Ehepaar Späth erreichen, von denen jetzt bekannt wurde, dass sie nach 51 Jahren auseinandergegangen sind. Und wie in den meisten Fällen später Trennungen ging auch hier die Initiative von der Frau aus. Ursula Späth, 76, ist schon vor Monaten ausgezogen. Von Scheidung sprechen Lothar und Ursula Späth nicht. Und der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident und seine Frau sollen immer noch freundschaftlich verbunden sein. Dennoch war es das Ende einer Beziehung von zwei Menschen, die als Traumpaar galten. Ursula Späth war die Frau, die ihrem Mann bei seiner beruflichen Karriere stets den Rücken frei gehalten hatte. Sie engagiert sich zwar seit Jahren in der Arbeit für MS-Kranke. Auf ein eigenes Berufsleben hatte die gelernte Auslandskorrespondentin aber zugunsten des Familienlebens und der beiden Kinder verzichtet. Will sie jetzt nicht mehr vor allem "die Frau an seiner Seite" sein? Woran die Beziehung letztendlich gescheitert ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Was sind die Ursachen, die zu einem Eheaus nach Jahrzehnten führen?
In der wissenschaftlichen Forschung hat das Thema späte Trennung noch keine breite Beachtung gefunden. Die Untersuchung der Psychologin Insa Fooken ist eine der wenigen, die es gibt: Die Professorin der Universität Siegen hat 125 spät geschiedene Frauen und Männer der Geburtenjahrgänge 1940 und 1950 zu ihren Partnerschaften befragt. Dabei war eines der überraschendsten Ergebnisse, dass die Männer häufig ziemlich ahnungslos sind, wenn sie mit dem Ende konfrontiert werden. In 90 Prozent der von ihr untersuchten Fälle ist der Mann aus allen Wolken gefallen, als die Frau ihm eröffnete, dass sie nicht mehr mit ihm leben will. Und selbst Männer, die bereits eine außereheliche Beziehung pflegten, konnten den Trennungswunsch der Frau nicht fassen. "Warum denn erst jetzt?", fragten sie. "Es hat doch die ganze Zeit geklappt."
Als Eva ihrem Mann Friedrich ihren Trennungswunsch eröffnete, da wusste er allerdings schon lange, das etwas schieflief in ihrer Ehe. Er wusste, dass sie unglücklich ist. Er war es auch. Friedrich lebt noch heute in dem kleinen Ort in Norddeutschland, aus dem sich Eva vor sieben Jahren endgültig verabschiedet hat. Er ist 70. Auch ihm sieht man das Alter nicht an. Das volle graue Haar steht ihm gut. Seine tiefe Stimme klingt warm. Mittlerweile ist er wieder verheiratet. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau engagiert er sich für eine christliche Stiftung, die Spenden an Opfer von Katastrophen verteilt und das Ziel hat, die biblische Botschaft zu verbreiten. Außerdem ist er maßgeblich an der Leitung christlicher TV-Angebote beteiligt. Die Scheidung hat ihn nicht zerbrochen. Das Leben ging weiter. "Aber ich leide noch heute, dass es so weit gekommen ist", sagt er. "Vor allem wegen der Kinder."
Auch wenn er wusste, dass es unendlich schwierig war in ihrer Ehe – die Scheidung, sagt er, wollte er nicht. Friedrich hat jahrelang als Geschäftsführer und Missionsleiter eines internationalen Missionswerks gearbeitet. Mit seinem christlichen Weltbild ist Scheidung nicht vereinbar. "Vergeben, versöhnen, wiederherstellen", das ist sein Ideal. Eva und Friedrich waren beide in einer freien evangelischen Gemeinde aktiv. Dass sie die Trennung bis zur letzten Konsequenz durchziehen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
Wer die Geschichte von Eva und Friedrich hört, der glaubt die Geschichte zweier Menschen zu erkennen, die wie so viele andere Paare ihrer Generation verhaftet in einem System von Rollenmustern waren. Von traditionellen Lebensvorstellungen, in denen jeder glaubte, das Richtige zu tun, das, was man von ihm erwartete. Von Strukturen, die so eingefahren waren, dass die Beteiligten den anderen in seiner Individualität irgendwann gar nicht mehr wahrnahmen. Dazu gehört auch die Sprachlosigkeit dieser Generation. Die Unfähigkeit, miteinander zu reden, dem anderen zuzuhören, die eigenen Bedürfnisse zu formulieren.
Eigentlich war es schon immer schwierig mit den beiden. Von Anfang an. Seit jenen Tagen, Mitte der 60er-Jahre, als Friedrichs Mutter irgendwann mit ihrem Sohn Evas Familie besuchte. Die Absichten waren kein Geheimnis. Die Familien kannten sich. Sie waren aus demselben Dorf in Bessarabien, einer deutschen Siedlung am Schwarzen Meer. Sie waren sogenannte Volksdeutsche. Im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes 1940 hatten sie ihre Heimat in der damaligen Sowjetrepublik Moldau verlassen müssen. Nach Jahren in Umsiedlungslagern, Neuansiedlung in besetzten polnischen Gebieten und Flucht hatten viele von ihnen nach dem Krieg in Norddeutschland eine neue Heimat gefunden. Sie hatten ihre eigenen Bräuche mitgebracht, ihre eigene Sprache und Lebensvorstellungen, in denen Werte wie christliche Tugenden, Fleiß, Gehorsam und Traditionsbewusstsein einen besonderen Stellenwert hatten. Werte, die sich Friedrichs Mutter für die künftige Frau ihres Sohnes wünschte. Denn auch wenn Eva ebenso wie Friedrich nicht in Bessarabien geboren war – für Friedrichs Mutter war sie ein "Bessarabermädchen". Und Eva war auch in diesem Geist erzogen worden. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr musste sie auf dem elterlichen Hof arbeiten. "Von den acht Jahren, die ich die Schule besuchte", sagt sie, "hatte mich mein Vater für die Arbeit zu Hause befreien lassen." Bildung spielte in dieser Welt keine Rolle. Ihr Vater war Analphabet. "Ein Herzensmensch", sagt Eva. Die Mutter war die Intelligentere, tüchtig, aber voller Härte. Eva hat viele Schläge bekommen. Eva wollte da raus.
Sie bekam einen Ausbildungsplatz als Helferin in einer Arztpraxis. Sie fing an zu lesen, ging ins Theater. "Ich besuchte sogar einen Deutschkurs", sagt sie. Sie hatte so viel nachzuholen. Als sie Friedrich begegnete, war es seine Fähigkeit, mit Worten umzugehen, die sie anzog. "Er konnte gut reden", sagt sie. "In meiner Familie wurde nicht geredet. Da wurde gearbeitet und geschwiegen." Wenn Friedrich an ihre erste Begegnung denkt und an das, was ihm gleich an ihr gefiel, dann sind es genau solche Eigenschaften, die sie anders machten, außergewöhnlich. Die zierliche junge Frau war nicht die typische Bauerntochter. "Ich fand sie sehr schön", sagt er mit einem Lächeln in der Stimme. "Und sie hat Dostojewski gelesen."
Es war trotzdem schwierig. War sie verliebt? Sie macht eine lange Pause. "Das würde ich nicht sagen. Ich hatte eigentlich gar keine richtige Vorstellung, wie ich leben möchte." Ja, sie hatte Zweifel, ob er der Richtige wäre. Sie hat die Beziehung auch einmal beendet. "Dann hat er mir einen langen Brief geschrieben und auf mein Bett gelegt", sagt sie, "das hat mich wieder überzeugt."
Friedrich merkte schon früh, dass diese Beziehung "irgendwie gegensätzlich, verspannt" war und nicht zum großen Liebesglück führte. Sie verlobten sich trotzdem. Und dann war da das große Abenteuer, das er mit ihr erleben wollte. Friedrich, der mittlerweile eine kaufmännische Lehre absolviert und auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nachgeholt hat, wollte das Jahr, in dem er auf seinen Studienplatz warten musste, für eine Reise durch Kanada und die USA nutzen. Mit Eva. Doch auch unter dem Eindruck dieser anderen Welt wurde es nicht besser. Es wurde jedenfalls nicht die aufregende, beglückende Reise, die er sich gewünscht hatte. Als sie 1967 zurückkamen, heirateten sie dennoch. "Am Hochzeitstag weinte Eva und schien auffällig unglücklich", sagt Friedrich.
Warum hat er sie geheiratet? "Ich weiß es nicht genau", sagt er. "Im Inneren hoffte ich, sie zu gewinnen und mit ihr durch dick und dünn zu gehen." Und irgendwie wären sie auch in den Termin "hineingeschliddert", sagt er, "ohne Beratung und völlig unvorbereitet." Dazu kam, dass in seiner Familie ein Wort ein Wort war. "Man löste sein Versprechen ein und sagte eine Hochzeit nicht einfach ab." Heute, nach nunmehr 50 Jahren, sieht er vieles differenzierter. "Wir hätten miteinander sprechen sollen, über unsere inneren Gefühle und Rat suchen sollen."
Auch Eva weiß heute nicht, warum sie "Ja" gesagt hat. "Ich war zu labil." Vielleicht hat sie aber auch unbewusst gedacht, dass Beziehung so funktioniert, dass es nicht die große Liebe braucht. Die Ehe ihrer Eltern war eigentlich eine Katastrophe. Die Frau befahl, der Mann gehorchte. Gut fand sie das nicht. Aber sie kannte es auch nicht anders.
Hat Friedrich eigentlich gewusst, wie Ehe geht? Sein Vater ist im Krieg geblieben. Und damit auch das Vorbild eines Ehemanns. "Meine Mutter hat in den Kriegsjahren zwei Mal ihre Heimat verloren", sagt er. Sie hatte andere Sorgen. "Als ,Trümmerfrau' konnte sie mir so etwas wie Ehevorbereitung nicht vermitteln." Es ging um Wiederaufbau und Überleben. Sie musste hart arbeiten, um ihn und seinen Bruder durchzubringen.
Als sie verheiratet waren, merkte Eva bald, dass die enge Bindung zwischen Mutter und Sohn die Ehe auch belastete. Friedrich hatte ihr den Schlüssel zum Haus gegeben. "Sie arbeitete im Garten und räumte sogar in der Wohnung auf, ohne mich zu fragen." Eva sagte ihr, dass sie das nicht will. Die Schwiegermutter sagte Friedrich, seine Frau würde zu viel Geld für Lebensmittel ausgeben. Eva sagte, sie möchte gesund kochen. Friedrich stand dazwischen. Eva sagt, er hätte damals mehr zu seiner Mutter gestanden.
Drei Kinder kamen auf die Welt, zwei Mädchen und ein Junge. Eva kümmerte sich um die Familie. Friedrich arbeitete sich immer weiter nach oben. Nach seinem Betriebswirtschaftsstudium legte er auch noch eine Steuerfachprüfung ab. Er machte Karriere in der Geschäftsführung eines großen deutschen Verlags. Nebenbei half er kleinen Betrieben und Privatleuten bei der Buchführung. Er war viel unterwegs. Heute weiß er, dass die Familie unter seiner Abwesenheit gelitten hat. Damals war es ihm nicht bewusst. Damals war er der Meinung, dass er seine Rolle als Versorger gut erfülle. "Es war mein großes Ziel", sagt er, "meiner Familie ein Haus im Grünen zu bauen." Er sagt, er hätte sie überdurchschnittlich unterstützt. Finanziell, aber auch, indem er die sportlichen Aktivitäten seiner Kinder förderte. Er ist stolz darauf, dass alle drei Kinder ihr Abitur machen konnten, dass er ihnen ein Studium finanziert hat.
"Friedrich wusste schon immer, was er wollte", sagt Eva. Und wenn die Beziehung besser gewesen wäre, dann hätte sie sich auch mehr über seinen beruflichen Erfolg gefreut. "Aber die Beziehung war nicht gut, Familie, Ehe und Beruf, das war keine Einheit für ihn." Friedrich hat alle Zeit in den Beruf gelegt. Zwölf bis 14 Stunden war er unterwegs. "Da konnte man gar keine Basis aufbauen." Und sie hätte sich einfach mehr Zweisamkeit, mehr Familienleben, mehr Aufmerksamkeit gewünscht. "Seine Devise war: ,Ich mache das draußen, du kümmerst dich um Haus und Kinder'".
Friedrich dachte, das macht man so. Eva fühlte sich unglücklich. Sie fühlte sich von ihm kleingehalten. Sie fühlte sich für alles verantwortlich, für eine gute Beziehung, für die Erziehung der Kinder. Und wenn etwas nicht funktionierte, dann hätte Friedrich ihr die Schuld gegeben. "Mein Selbstwertgefühl litt", sagt sie. Eva litt. Aber sie wollte sich auch nicht unterkriegen lassen. "In meinen Gedanken und Gefühlen habe ich mich hochgearbeitet", sagt sie. So wie damals, als sie das Elternhaus nicht mehr ertragen hat. Sie las, sie beschäftigte sich mit Psychologie und Kultur. "Ich habe parallel zu ihm mein Leben aufgebaut. Irgendwann passte das nicht mehr zusammen."
Friedrich merkte zu spät, dass sie sich abkapselte. Friedrich arbeitete. Eva kann seinen Ehrgeiz heute besser verstehen: Männer wie er wollten sich verabschieden von der finanziellen Not der Nachkriegszeit. Nie wieder wollten sie so arm sein. Alles stand unter dem Zeichen des Aufschwungs. "Partnerschaften liefen da einfach so mit." Friedrich hatte keine leichte Kindheit. Ein Flüchtlingskind in einem Dorf. Er musste sich vieles schwer erarbeiten. Seine Kinder sollten es mal besser haben als er. "Ich war sehr früh auf mich gestellt", sagt er. Sicher ist das auch ein Grund dafür, dass er von seinen Kindern ein gewisses Maß an Leistungsbereitschaft eingefordert hat.
"Darüber haben wir uns häufig auseinandergesetzt", sagt Eva. Seine Devise, die Kinder zu "Lebenstüchtigkeit" erziehen zu wollen, hatte ihrer Ansicht nach zu viel zu viel Druck geführt. Die Kinder hätten es ihm nie recht machen können. Sie wollte sie schützen. Er sagte, sie würde seine Autorität untergraben. Sie sagte: "Wenn ich das mal könnte!"
Friedrich hat sich immer selbst viel abverlangt. Er fühlte sich berufen, die Welt ein bisschen zu verändern. Als er anfing, sich neben seiner beruflichen Arbeit auch noch in der Lokalpolitik zu engagieren, war er auch abends kaum noch zu Hause. Am Wochenende kamen Freunde zu Besuch, wurde gefeiert. Für Zweisamkeit blieb da immer weniger Raum. Und irgendwann gab es eine andere Frau.
Nach etwa zwölf Jahren Ehe war das, eine Frau, mit der er sich hätte vorstellen können, noch mal ganz von vorne anzufangen.
Er entschied sich wieder für Eva. Mit ihr, sagt er, wollte er neu anfangen, mit ihr und den Kindern. Und dann gab es sie auch, die guten Momente. Schließlich war es der christliche Glaube, der sie verband, das Engagement in der Gemeinde, die Gespräche über Religion, die Freunde, die ähnlich dachten und glaubten.
Ja, sagt Eva. Es gab die guten Momente. Die Phasen, in denen es harmonisch war, in denen sie sich wohlfühlte. In denen sie dachte: "So schlimm ist es doch nicht." Und es waren genau diese Momente, die ihr immer wieder Hoffnung gemacht haben, die sie in der Absicht bestärkt haben, doch zusammenzubleiben. "Ich hatte ja eine große Verantwortung gegenüber den Kindern." Sie wollte ihnen das nicht zumuten, die Trennung. Und sie hat es sich auch nicht wirklich zugetraut, allein mit drei Kindern zu leben. "In meinem Kopf war es aber immer und in meinem Gefühl, dass ich eines Tages gehe."
Sie empfand ihn zunehmend als autoritär, als zu dominant. Sie fühlte sich zu wenig ernst genommen mit ihren Ansichten über Glauben und Politik. Wenn sie sich mit Freunden trafen, dann hätte er immer genau auf das geachtet, was sie sagte. Dann hätte er ihr später, wenn sie zu Hause waren, Vorhaltungen gemacht. Dann wäre er richtig wütend geworden. Dann hätte sie sich "wie ein Nichts" gefühlt.
An den Tagen nach diesen Auseinandersetzungen hätte er sie um Verzeihung gebeten, lange Briefe geschrieben. "Er war wie verwandelt", sagt sie. Eine Zeitlang ging es gut. Bis zum nächsten Krach. So konnte es nicht weitergehen. Die älteste Tochter studierte mittlerweile Psychologie. Die schwierige Ehe der Eltern ging ihr nah. "Sie hat viel mit ihm gesprochen." Es wurde nicht besser. Eva bat einen gemeinsamen Freund, mit Friedrich über die Misere ihrer Ehe zu reden. "Aber er hat nicht zugehört", sagt sie, "er hat nicht innegehalten." Auch nicht, wenn sie ihm sagte, dass es so nicht weitergeht. Sie machte den Vorschlag, zwei, drei Leute aus der Gemeinde um ein gemeinsames Gespräch zu bitten. "Das müssen wir alleine schaffen", sagte er.
Sie schafften es nicht. Sie hatten sich weit auseinandergelebt, zwei Menschen, die sich vielleicht nie so richtig nah gekommen waren. Und als Friedrich Anfang der 90er-Jahre, nach der Öffnung der Ostgrenzen, als geistlicher Leiter eines internationalen Gemeinde- und Missionswerks oft in die ehemalige Sowjetunion reiste, um die während des Kommunismus verfolgten Gemeinden mit Bibeln und Lebensmitteln zu unterstützen, fühlte er sich von Eva immer mehr isoliert, nicht verstanden und getragen. Sie empfand sein Verhalten als widersprüchlich. "Nach außen für Gott zu arbeiten und in der Familie ist es ein Desaster. Ich habe immer gespürt, dass das nicht gut ist."
Und dann kam es zu dem Schicksalsschlag, der alles infrage stellte: der Tod des Sohnes. 26 Jahre war er alt, als er sich das Leben nahm. Er war depressiv. Er hatte einen langen Abschiedsbrief geschrieben, er machte niemandem einen Vorwurf, er konnte seine Traurigkeit nicht mehr ertragen. Eva verstummte. "Ich konnte gar nicht mehr sprechen", sagt sie. Ein halbes Jahr lang hat sie sich zurückgezogen. Der Schmerz war unerträglich. Für sie wie für die Schwestern – und für Friedrich. "Es gab keine Versuche, den Schmerz gemeinsam zu tragen", sagt sie. "Wenn die Beziehung schon so brüchig ist, dann hält sie das nicht durch."
Eva war wie gelähmt. "Die ersten drei Jahre danach war ich zu nichts fähig." Als die jüngste Tochter auszog, wusste sie, dass etwas passieren musste. Eva suchte sich endlich Hilfe bei einem Therapeuten, bei einem Theologen, in dessen Einrichtung sie eine Woche verbrachte. Mit ihm sprach sie über den Tod des Sohnes, mit ihm sprach sie über die Ehe. "Der Pastor hat nie gesagt: ,Mach dies oder das' Aber er hat mir Stärke gegeben, so viel, dass ich die nächsten Schritte gehen konnte."
2003 war es schließlich so weit. Eva entschloss sich zu einer Auszeit. Sie hatte Angst davor gehabt, es Friedrich zu sagen. Aber dann war es gar nicht so schlimm. Er reagierte ruhig, er fragte sie, wie viel Geld sie bräuchte. "Ich hatte das Gefühl, dass eine zentnerschwere Last von seinen Schultern fiel." Sie nahm sich eine Wohnung in München. Sie nahm sich Zeit, über sich und die Ehe nachzudenken. Sie wollte der Beziehung noch mal eine Chance geben. Sie hatte die Hoffnung, dass er an sich arbeiten würde. Doch als sie nach einem Jahr zurückkam, merkte sie, dass es zu spät war, dass es einfach nicht mehr ging.
Friedrich zog aus, sie entschied sich für die Scheidung. Einfach hat sie es sich nicht gemacht. "Ich dachte, eine christliche Frau trennt sich nicht." Eva ging wieder in die Großstadt, nahm sich eine Wohnung. Befreit fühlte sie sich nicht. "Im ersten halben Jahr hatte ich gegen meinen Willen einen so starken Druck gespürt, ich hatte das Gefühl, aus christlicher Sicht müsste ich wieder in die Ehe zurück." Die Gespräche, die sie damals mit einem Pfarrer führte, halfen ihr. Nein, sagte er. Wenn sie emotional nicht bereit für einen Neuanfang wäre, dann müsste sie auch nicht. 2007 wurde die Scheidung schließlich auch offiziell vollzogen. Gegen Friedrichs Willen.
Heute ist das Vergangenheit. Da ist die Trauer, dass sie miteinander gescheitert sind, aber da ist kein Groll, sagt er. "Heute bete ich jeden Tag für sie und wünsche ihr ein sinnerfülltes Leben." Für seine neue Ehe hat er gelernt. Von einer "konstruktiven Streitkultur" spricht er, von gemeinsamen Interessen und Visionen. Und er spricht davon, wie wichtig es sei, miteinander zu reden und zu versuchen, den anderen zu verstehen. Friedrich hat gelernt, dass Partnerschaft Arbeit ist. "Früher sprach man gar nicht über Eheprobleme, man rieb sich ab, so gut es ging und blieb zusammen." Ein gemeinsames Glück kann so seiner Ansicht nach ebenso wenig wachsen wie in Beziehungen, "in denen man unverbindlich zusammenlebt, solange es passt."
Eva will keine richtig enge Beziehung mehr. Es gibt jemanden, mit dem sie sich für gemeinsame Aktivitäten trifft. Aber wieder mit einem Mann zusammenziehen? Nein. Sie mag die Stille ihrer Wohnung, den Ort, in dem sie sich zurückziehen kann, in dem sie so viel verarbeitet hat. Heute weiß sie, was sie hätte besser machen können. Ja, sie hat Friedrich in der Ehe immer wieder gesagt, dass es nicht gut läuft. Aber sie hätte ihre Bedürfnisse deutlicher machen müssen. "Ruhig und sachlich hätte ich ihm sagen müssen, wie es mir geht." Und sie hätte auch ihn mehr über seine Situation reden lassen müssen. Das weiß sie. "Heute macht man das so, aber damals war eine Beziehung eine Beziehung, ein Selbstläufer."
Sie lächelt, ohne Wehmut. Sie ist stabil. Sie ist versöhnt mit Friedrich. "Das ist schön für mich", sagt sie, "und für unsere Töchter." Sie ist angekommen. Es war ein langer Weg in die stille helle Wohnung.
*Die Namen wurden auf Wunsch der Protagonisten geändert.
(Claudia Becker)
Die Stille kommt ihr immer noch seltsam vor, manchmal.
Die Stille, die sich in ihrer hellen Wohnung im Hinterhaus eines Münchner Altbaus ausbreitet, als wäre sie ein Stück von ihr. Von dieser zarten Frau, die es sich hier schön gemacht hat. Schnörkellos, reduziert, stilvoll. Ein Kunstdruck mit einer abstrakten Farbkomposition von Mark Rothko hängt über dem hellen Sofa an der weißen Wand. Gegenüber ein Regal mit ihren wichtigsten Büchern. Nichts ist überladen. Alles scheint zu sagen: nur nicht zu viel. Die Stille, in die an diesem Frühlingsmorgen vom Zwitschern der Spatzen in dem Ahorn vor ihrem Fenster unterbrochen wird, tut ihr gut. Aber sie erinnert Eva* auch immer wieder daran, dass sie alleine lebt. Seit sieben Jahren. Sie ist jetzt 70.
40 Jahre war sie verheiratet, Ehefrau. Dann hat sich Eva von ihrem Mann Friedrich* vor dem Richter getrennt. Die Scheidung hatte sie eingereicht. Und so wie sie machen es immer mehr Frauen: Sie wagen, nach Jahrzehnten noch mal ganz neu anzufangen. Die Zahl der Scheidungen nach 26 Ehejahren und mehr steigt rasant: Während es 1992 12.000 scheidungswillige Paare gab, die schon mindestens ein Jahr lang die Silberhochzeit hinter sich hatten, waren es 2012 schon 24.600. Die Zahl hat sich in den vergangenen 20 Jahren also mehr als verdoppelt. Aktuell machen die Scheidungen nach mindestens 26 Ehejahren schon 13,8 % aus.
Abstrakte Zahlen, die konkreter werden, wenn uns Nachrichten wie die über das Ehepaar Späth erreichen, von denen jetzt bekannt wurde, dass sie nach 51 Jahren auseinandergegangen sind. Und wie in den meisten Fällen später Trennungen ging auch hier die Initiative von der Frau aus. Ursula Späth, 76, ist schon vor Monaten ausgezogen. Von Scheidung sprechen Lothar und Ursula Späth nicht. Und der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident und seine Frau sollen immer noch freundschaftlich verbunden sein. Dennoch war es das Ende einer Beziehung von zwei Menschen, die als Traumpaar galten. Ursula Späth war die Frau, die ihrem Mann bei seiner beruflichen Karriere stets den Rücken frei gehalten hatte. Sie engagiert sich zwar seit Jahren in der Arbeit für MS-Kranke. Auf ein eigenes Berufsleben hatte die gelernte Auslandskorrespondentin aber zugunsten des Familienlebens und der beiden Kinder verzichtet. Will sie jetzt nicht mehr vor allem "die Frau an seiner Seite" sein? Woran die Beziehung letztendlich gescheitert ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Was sind die Ursachen, die zu einem Eheaus nach Jahrzehnten führen?
In der wissenschaftlichen Forschung hat das Thema späte Trennung noch keine breite Beachtung gefunden. Die Untersuchung der Psychologin Insa Fooken ist eine der wenigen, die es gibt: Die Professorin der Universität Siegen hat 125 spät geschiedene Frauen und Männer der Geburtenjahrgänge 1940 und 1950 zu ihren Partnerschaften befragt. Dabei war eines der überraschendsten Ergebnisse, dass die Männer häufig ziemlich ahnungslos sind, wenn sie mit dem Ende konfrontiert werden. In 90 Prozent der von ihr untersuchten Fälle ist der Mann aus allen Wolken gefallen, als die Frau ihm eröffnete, dass sie nicht mehr mit ihm leben will. Und selbst Männer, die bereits eine außereheliche Beziehung pflegten, konnten den Trennungswunsch der Frau nicht fassen. "Warum denn erst jetzt?", fragten sie. "Es hat doch die ganze Zeit geklappt."
Als Eva ihrem Mann Friedrich ihren Trennungswunsch eröffnete, da wusste er allerdings schon lange, das etwas schieflief in ihrer Ehe. Er wusste, dass sie unglücklich ist. Er war es auch. Friedrich lebt noch heute in dem kleinen Ort in Norddeutschland, aus dem sich Eva vor sieben Jahren endgültig verabschiedet hat. Er ist 70. Auch ihm sieht man das Alter nicht an. Das volle graue Haar steht ihm gut. Seine tiefe Stimme klingt warm. Mittlerweile ist er wieder verheiratet. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau engagiert er sich für eine christliche Stiftung, die Spenden an Opfer von Katastrophen verteilt und das Ziel hat, die biblische Botschaft zu verbreiten. Außerdem ist er maßgeblich an der Leitung christlicher TV-Angebote beteiligt. Die Scheidung hat ihn nicht zerbrochen. Das Leben ging weiter. "Aber ich leide noch heute, dass es so weit gekommen ist", sagt er. "Vor allem wegen der Kinder."
Auch wenn er wusste, dass es unendlich schwierig war in ihrer Ehe – die Scheidung, sagt er, wollte er nicht. Friedrich hat jahrelang als Geschäftsführer und Missionsleiter eines internationalen Missionswerks gearbeitet. Mit seinem christlichen Weltbild ist Scheidung nicht vereinbar. "Vergeben, versöhnen, wiederherstellen", das ist sein Ideal. Eva und Friedrich waren beide in einer freien evangelischen Gemeinde aktiv. Dass sie die Trennung bis zur letzten Konsequenz durchziehen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
Wer die Geschichte von Eva und Friedrich hört, der glaubt die Geschichte zweier Menschen zu erkennen, die wie so viele andere Paare ihrer Generation verhaftet in einem System von Rollenmustern waren. Von traditionellen Lebensvorstellungen, in denen jeder glaubte, das Richtige zu tun, das, was man von ihm erwartete. Von Strukturen, die so eingefahren waren, dass die Beteiligten den anderen in seiner Individualität irgendwann gar nicht mehr wahrnahmen. Dazu gehört auch die Sprachlosigkeit dieser Generation. Die Unfähigkeit, miteinander zu reden, dem anderen zuzuhören, die eigenen Bedürfnisse zu formulieren.
Eigentlich war es schon immer schwierig mit den beiden. Von Anfang an. Seit jenen Tagen, Mitte der 60er-Jahre, als Friedrichs Mutter irgendwann mit ihrem Sohn Evas Familie besuchte. Die Absichten waren kein Geheimnis. Die Familien kannten sich. Sie waren aus demselben Dorf in Bessarabien, einer deutschen Siedlung am Schwarzen Meer. Sie waren sogenannte Volksdeutsche. Im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes 1940 hatten sie ihre Heimat in der damaligen Sowjetrepublik Moldau verlassen müssen. Nach Jahren in Umsiedlungslagern, Neuansiedlung in besetzten polnischen Gebieten und Flucht hatten viele von ihnen nach dem Krieg in Norddeutschland eine neue Heimat gefunden. Sie hatten ihre eigenen Bräuche mitgebracht, ihre eigene Sprache und Lebensvorstellungen, in denen Werte wie christliche Tugenden, Fleiß, Gehorsam und Traditionsbewusstsein einen besonderen Stellenwert hatten. Werte, die sich Friedrichs Mutter für die künftige Frau ihres Sohnes wünschte. Denn auch wenn Eva ebenso wie Friedrich nicht in Bessarabien geboren war – für Friedrichs Mutter war sie ein "Bessarabermädchen". Und Eva war auch in diesem Geist erzogen worden. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr musste sie auf dem elterlichen Hof arbeiten. "Von den acht Jahren, die ich die Schule besuchte", sagt sie, "hatte mich mein Vater für die Arbeit zu Hause befreien lassen." Bildung spielte in dieser Welt keine Rolle. Ihr Vater war Analphabet. "Ein Herzensmensch", sagt Eva. Die Mutter war die Intelligentere, tüchtig, aber voller Härte. Eva hat viele Schläge bekommen. Eva wollte da raus.
Sie bekam einen Ausbildungsplatz als Helferin in einer Arztpraxis. Sie fing an zu lesen, ging ins Theater. "Ich besuchte sogar einen Deutschkurs", sagt sie. Sie hatte so viel nachzuholen. Als sie Friedrich begegnete, war es seine Fähigkeit, mit Worten umzugehen, die sie anzog. "Er konnte gut reden", sagt sie. "In meiner Familie wurde nicht geredet. Da wurde gearbeitet und geschwiegen." Wenn Friedrich an ihre erste Begegnung denkt und an das, was ihm gleich an ihr gefiel, dann sind es genau solche Eigenschaften, die sie anders machten, außergewöhnlich. Die zierliche junge Frau war nicht die typische Bauerntochter. "Ich fand sie sehr schön", sagt er mit einem Lächeln in der Stimme. "Und sie hat Dostojewski gelesen."
Es war trotzdem schwierig. War sie verliebt? Sie macht eine lange Pause. "Das würde ich nicht sagen. Ich hatte eigentlich gar keine richtige Vorstellung, wie ich leben möchte." Ja, sie hatte Zweifel, ob er der Richtige wäre. Sie hat die Beziehung auch einmal beendet. "Dann hat er mir einen langen Brief geschrieben und auf mein Bett gelegt", sagt sie, "das hat mich wieder überzeugt."
Friedrich merkte schon früh, dass diese Beziehung "irgendwie gegensätzlich, verspannt" war und nicht zum großen Liebesglück führte. Sie verlobten sich trotzdem. Und dann war da das große Abenteuer, das er mit ihr erleben wollte. Friedrich, der mittlerweile eine kaufmännische Lehre absolviert und auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nachgeholt hat, wollte das Jahr, in dem er auf seinen Studienplatz warten musste, für eine Reise durch Kanada und die USA nutzen. Mit Eva. Doch auch unter dem Eindruck dieser anderen Welt wurde es nicht besser. Es wurde jedenfalls nicht die aufregende, beglückende Reise, die er sich gewünscht hatte. Als sie 1967 zurückkamen, heirateten sie dennoch. "Am Hochzeitstag weinte Eva und schien auffällig unglücklich", sagt Friedrich.
Warum hat er sie geheiratet? "Ich weiß es nicht genau", sagt er. "Im Inneren hoffte ich, sie zu gewinnen und mit ihr durch dick und dünn zu gehen." Und irgendwie wären sie auch in den Termin "hineingeschliddert", sagt er, "ohne Beratung und völlig unvorbereitet." Dazu kam, dass in seiner Familie ein Wort ein Wort war. "Man löste sein Versprechen ein und sagte eine Hochzeit nicht einfach ab." Heute, nach nunmehr 50 Jahren, sieht er vieles differenzierter. "Wir hätten miteinander sprechen sollen, über unsere inneren Gefühle und Rat suchen sollen."
Auch Eva weiß heute nicht, warum sie "Ja" gesagt hat. "Ich war zu labil." Vielleicht hat sie aber auch unbewusst gedacht, dass Beziehung so funktioniert, dass es nicht die große Liebe braucht. Die Ehe ihrer Eltern war eigentlich eine Katastrophe. Die Frau befahl, der Mann gehorchte. Gut fand sie das nicht. Aber sie kannte es auch nicht anders.
Hat Friedrich eigentlich gewusst, wie Ehe geht? Sein Vater ist im Krieg geblieben. Und damit auch das Vorbild eines Ehemanns. "Meine Mutter hat in den Kriegsjahren zwei Mal ihre Heimat verloren", sagt er. Sie hatte andere Sorgen. "Als ,Trümmerfrau' konnte sie mir so etwas wie Ehevorbereitung nicht vermitteln." Es ging um Wiederaufbau und Überleben. Sie musste hart arbeiten, um ihn und seinen Bruder durchzubringen.
Als sie verheiratet waren, merkte Eva bald, dass die enge Bindung zwischen Mutter und Sohn die Ehe auch belastete. Friedrich hatte ihr den Schlüssel zum Haus gegeben. "Sie arbeitete im Garten und räumte sogar in der Wohnung auf, ohne mich zu fragen." Eva sagte ihr, dass sie das nicht will. Die Schwiegermutter sagte Friedrich, seine Frau würde zu viel Geld für Lebensmittel ausgeben. Eva sagte, sie möchte gesund kochen. Friedrich stand dazwischen. Eva sagt, er hätte damals mehr zu seiner Mutter gestanden.
Drei Kinder kamen auf die Welt, zwei Mädchen und ein Junge. Eva kümmerte sich um die Familie. Friedrich arbeitete sich immer weiter nach oben. Nach seinem Betriebswirtschaftsstudium legte er auch noch eine Steuerfachprüfung ab. Er machte Karriere in der Geschäftsführung eines großen deutschen Verlags. Nebenbei half er kleinen Betrieben und Privatleuten bei der Buchführung. Er war viel unterwegs. Heute weiß er, dass die Familie unter seiner Abwesenheit gelitten hat. Damals war es ihm nicht bewusst. Damals war er der Meinung, dass er seine Rolle als Versorger gut erfülle. "Es war mein großes Ziel", sagt er, "meiner Familie ein Haus im Grünen zu bauen." Er sagt, er hätte sie überdurchschnittlich unterstützt. Finanziell, aber auch, indem er die sportlichen Aktivitäten seiner Kinder förderte. Er ist stolz darauf, dass alle drei Kinder ihr Abitur machen konnten, dass er ihnen ein Studium finanziert hat.
"Friedrich wusste schon immer, was er wollte", sagt Eva. Und wenn die Beziehung besser gewesen wäre, dann hätte sie sich auch mehr über seinen beruflichen Erfolg gefreut. "Aber die Beziehung war nicht gut, Familie, Ehe und Beruf, das war keine Einheit für ihn." Friedrich hat alle Zeit in den Beruf gelegt. Zwölf bis 14 Stunden war er unterwegs. "Da konnte man gar keine Basis aufbauen." Und sie hätte sich einfach mehr Zweisamkeit, mehr Familienleben, mehr Aufmerksamkeit gewünscht. "Seine Devise war: ,Ich mache das draußen, du kümmerst dich um Haus und Kinder'".
Friedrich dachte, das macht man so. Eva fühlte sich unglücklich. Sie fühlte sich von ihm kleingehalten. Sie fühlte sich für alles verantwortlich, für eine gute Beziehung, für die Erziehung der Kinder. Und wenn etwas nicht funktionierte, dann hätte Friedrich ihr die Schuld gegeben. "Mein Selbstwertgefühl litt", sagt sie. Eva litt. Aber sie wollte sich auch nicht unterkriegen lassen. "In meinen Gedanken und Gefühlen habe ich mich hochgearbeitet", sagt sie. So wie damals, als sie das Elternhaus nicht mehr ertragen hat. Sie las, sie beschäftigte sich mit Psychologie und Kultur. "Ich habe parallel zu ihm mein Leben aufgebaut. Irgendwann passte das nicht mehr zusammen."
Friedrich merkte zu spät, dass sie sich abkapselte. Friedrich arbeitete. Eva kann seinen Ehrgeiz heute besser verstehen: Männer wie er wollten sich verabschieden von der finanziellen Not der Nachkriegszeit. Nie wieder wollten sie so arm sein. Alles stand unter dem Zeichen des Aufschwungs. "Partnerschaften liefen da einfach so mit." Friedrich hatte keine leichte Kindheit. Ein Flüchtlingskind in einem Dorf. Er musste sich vieles schwer erarbeiten. Seine Kinder sollten es mal besser haben als er. "Ich war sehr früh auf mich gestellt", sagt er. Sicher ist das auch ein Grund dafür, dass er von seinen Kindern ein gewisses Maß an Leistungsbereitschaft eingefordert hat.
"Darüber haben wir uns häufig auseinandergesetzt", sagt Eva. Seine Devise, die Kinder zu "Lebenstüchtigkeit" erziehen zu wollen, hatte ihrer Ansicht nach zu viel zu viel Druck geführt. Die Kinder hätten es ihm nie recht machen können. Sie wollte sie schützen. Er sagte, sie würde seine Autorität untergraben. Sie sagte: "Wenn ich das mal könnte!"
Friedrich hat sich immer selbst viel abverlangt. Er fühlte sich berufen, die Welt ein bisschen zu verändern. Als er anfing, sich neben seiner beruflichen Arbeit auch noch in der Lokalpolitik zu engagieren, war er auch abends kaum noch zu Hause. Am Wochenende kamen Freunde zu Besuch, wurde gefeiert. Für Zweisamkeit blieb da immer weniger Raum. Und irgendwann gab es eine andere Frau.
Nach etwa zwölf Jahren Ehe war das, eine Frau, mit der er sich hätte vorstellen können, noch mal ganz von vorne anzufangen.
Er entschied sich wieder für Eva. Mit ihr, sagt er, wollte er neu anfangen, mit ihr und den Kindern. Und dann gab es sie auch, die guten Momente. Schließlich war es der christliche Glaube, der sie verband, das Engagement in der Gemeinde, die Gespräche über Religion, die Freunde, die ähnlich dachten und glaubten.
Ja, sagt Eva. Es gab die guten Momente. Die Phasen, in denen es harmonisch war, in denen sie sich wohlfühlte. In denen sie dachte: "So schlimm ist es doch nicht." Und es waren genau diese Momente, die ihr immer wieder Hoffnung gemacht haben, die sie in der Absicht bestärkt haben, doch zusammenzubleiben. "Ich hatte ja eine große Verantwortung gegenüber den Kindern." Sie wollte ihnen das nicht zumuten, die Trennung. Und sie hat es sich auch nicht wirklich zugetraut, allein mit drei Kindern zu leben. "In meinem Kopf war es aber immer und in meinem Gefühl, dass ich eines Tages gehe."
Sie empfand ihn zunehmend als autoritär, als zu dominant. Sie fühlte sich zu wenig ernst genommen mit ihren Ansichten über Glauben und Politik. Wenn sie sich mit Freunden trafen, dann hätte er immer genau auf das geachtet, was sie sagte. Dann hätte er ihr später, wenn sie zu Hause waren, Vorhaltungen gemacht. Dann wäre er richtig wütend geworden. Dann hätte sie sich "wie ein Nichts" gefühlt.
An den Tagen nach diesen Auseinandersetzungen hätte er sie um Verzeihung gebeten, lange Briefe geschrieben. "Er war wie verwandelt", sagt sie. Eine Zeitlang ging es gut. Bis zum nächsten Krach. So konnte es nicht weitergehen. Die älteste Tochter studierte mittlerweile Psychologie. Die schwierige Ehe der Eltern ging ihr nah. "Sie hat viel mit ihm gesprochen." Es wurde nicht besser. Eva bat einen gemeinsamen Freund, mit Friedrich über die Misere ihrer Ehe zu reden. "Aber er hat nicht zugehört", sagt sie, "er hat nicht innegehalten." Auch nicht, wenn sie ihm sagte, dass es so nicht weitergeht. Sie machte den Vorschlag, zwei, drei Leute aus der Gemeinde um ein gemeinsames Gespräch zu bitten. "Das müssen wir alleine schaffen", sagte er.
Sie schafften es nicht. Sie hatten sich weit auseinandergelebt, zwei Menschen, die sich vielleicht nie so richtig nah gekommen waren. Und als Friedrich Anfang der 90er-Jahre, nach der Öffnung der Ostgrenzen, als geistlicher Leiter eines internationalen Gemeinde- und Missionswerks oft in die ehemalige Sowjetunion reiste, um die während des Kommunismus verfolgten Gemeinden mit Bibeln und Lebensmitteln zu unterstützen, fühlte er sich von Eva immer mehr isoliert, nicht verstanden und getragen. Sie empfand sein Verhalten als widersprüchlich. "Nach außen für Gott zu arbeiten und in der Familie ist es ein Desaster. Ich habe immer gespürt, dass das nicht gut ist."
Und dann kam es zu dem Schicksalsschlag, der alles infrage stellte: der Tod des Sohnes. 26 Jahre war er alt, als er sich das Leben nahm. Er war depressiv. Er hatte einen langen Abschiedsbrief geschrieben, er machte niemandem einen Vorwurf, er konnte seine Traurigkeit nicht mehr ertragen. Eva verstummte. "Ich konnte gar nicht mehr sprechen", sagt sie. Ein halbes Jahr lang hat sie sich zurückgezogen. Der Schmerz war unerträglich. Für sie wie für die Schwestern – und für Friedrich. "Es gab keine Versuche, den Schmerz gemeinsam zu tragen", sagt sie. "Wenn die Beziehung schon so brüchig ist, dann hält sie das nicht durch."
Eva war wie gelähmt. "Die ersten drei Jahre danach war ich zu nichts fähig." Als die jüngste Tochter auszog, wusste sie, dass etwas passieren musste. Eva suchte sich endlich Hilfe bei einem Therapeuten, bei einem Theologen, in dessen Einrichtung sie eine Woche verbrachte. Mit ihm sprach sie über den Tod des Sohnes, mit ihm sprach sie über die Ehe. "Der Pastor hat nie gesagt: ,Mach dies oder das' Aber er hat mir Stärke gegeben, so viel, dass ich die nächsten Schritte gehen konnte."
2003 war es schließlich so weit. Eva entschloss sich zu einer Auszeit. Sie hatte Angst davor gehabt, es Friedrich zu sagen. Aber dann war es gar nicht so schlimm. Er reagierte ruhig, er fragte sie, wie viel Geld sie bräuchte. "Ich hatte das Gefühl, dass eine zentnerschwere Last von seinen Schultern fiel." Sie nahm sich eine Wohnung in München. Sie nahm sich Zeit, über sich und die Ehe nachzudenken. Sie wollte der Beziehung noch mal eine Chance geben. Sie hatte die Hoffnung, dass er an sich arbeiten würde. Doch als sie nach einem Jahr zurückkam, merkte sie, dass es zu spät war, dass es einfach nicht mehr ging.
Friedrich zog aus, sie entschied sich für die Scheidung. Einfach hat sie es sich nicht gemacht. "Ich dachte, eine christliche Frau trennt sich nicht." Eva ging wieder in die Großstadt, nahm sich eine Wohnung. Befreit fühlte sie sich nicht. "Im ersten halben Jahr hatte ich gegen meinen Willen einen so starken Druck gespürt, ich hatte das Gefühl, aus christlicher Sicht müsste ich wieder in die Ehe zurück." Die Gespräche, die sie damals mit einem Pfarrer führte, halfen ihr. Nein, sagte er. Wenn sie emotional nicht bereit für einen Neuanfang wäre, dann müsste sie auch nicht. 2007 wurde die Scheidung schließlich auch offiziell vollzogen. Gegen Friedrichs Willen.
Heute ist das Vergangenheit. Da ist die Trauer, dass sie miteinander gescheitert sind, aber da ist kein Groll, sagt er. "Heute bete ich jeden Tag für sie und wünsche ihr ein sinnerfülltes Leben." Für seine neue Ehe hat er gelernt. Von einer "konstruktiven Streitkultur" spricht er, von gemeinsamen Interessen und Visionen. Und er spricht davon, wie wichtig es sei, miteinander zu reden und zu versuchen, den anderen zu verstehen. Friedrich hat gelernt, dass Partnerschaft Arbeit ist. "Früher sprach man gar nicht über Eheprobleme, man rieb sich ab, so gut es ging und blieb zusammen." Ein gemeinsames Glück kann so seiner Ansicht nach ebenso wenig wachsen wie in Beziehungen, "in denen man unverbindlich zusammenlebt, solange es passt."
Eva will keine richtig enge Beziehung mehr. Es gibt jemanden, mit dem sie sich für gemeinsame Aktivitäten trifft. Aber wieder mit einem Mann zusammenziehen? Nein. Sie mag die Stille ihrer Wohnung, den Ort, in dem sie sich zurückziehen kann, in dem sie so viel verarbeitet hat. Heute weiß sie, was sie hätte besser machen können. Ja, sie hat Friedrich in der Ehe immer wieder gesagt, dass es nicht gut läuft. Aber sie hätte ihre Bedürfnisse deutlicher machen müssen. "Ruhig und sachlich hätte ich ihm sagen müssen, wie es mir geht." Und sie hätte auch ihn mehr über seine Situation reden lassen müssen. Das weiß sie. "Heute macht man das so, aber damals war eine Beziehung eine Beziehung, ein Selbstläufer."
Sie lächelt, ohne Wehmut. Sie ist stabil. Sie ist versöhnt mit Friedrich. "Das ist schön für mich", sagt sie, "und für unsere Töchter." Sie ist angekommen. Es war ein langer Weg in die stille helle Wohnung.
*Die Namen wurden auf Wunsch der Protagonisten geändert.
(Claudia Becker)
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